Sievert Karsten Frank

 

An ihrem ersten Hochzeitstag hatte Rolf wunderschöne Blumen mitgebracht. Susanne freute sich zwar, aber nicht mit dem ganz großen Jubel, den sie eigentlich zeigen sollte. Dieses erste Jahr war schnell vergangen.
Es war vor damals ein wunderschöner Tag gewesen. Ein sonniger Freitag. Die Gesellschaft fröhlich, sie selbst ganz in Weiß mit einem großen Strauß wunderschöner dunkler Rosen und als sie mit der Kutsche von der Kirche zu dem nahen Lokal fuhren, dufteten das frisch gemähte Gras. Es war der Beginn ihres Traums. Und die Sonne schien nicht nur in ihrem Herzen, sondern auch strahlend aus dem blauen Himmel.
Seit ein paar Monaten fühlte sie sich nun allerdings schon als Versagerin. Damals, als sie mit Rolf Zukunftspläne schmiedete, sprachen sie wiederholt auch davon, dass sie gleich ein Kind in Auftrag geben wollten. Rolf verdiente genug. Sie würde mit dem Kind oder den Kindern zu Hause bleiben. Sie wollten eine ganz tolle Familie werden.
Nur das mit dem Baby, das hatte immer noch nicht geklappt.
Heimlich weinte sie bei jeder Monatsblutung. Er sollte es nicht merken. Rolf war liebevoll um sie bemüht. Daran lag es sicher nicht. Er hatte ja auch keinen Zweifel daran geäußert, dass sie irgendwann ein Kind bekommen würden. Oder auch mehrere.
Vor ein paar Tagen war sie mitten in der Nacht aufgewacht und hatte gehört, wie jemand "Mama?" sagte. Ganz deutlich und sauber gesprochen. Kein Wort eines brabbelnden Babys. Auch kein hungriges Rufen. So ein fragendes deutliches Wort: "Mama?"
Susanne hatte sich aufgesetzt und einen Moment gelauscht. Rolf schlief fest. Er hatte nichts gehört. Aber sie hatte es sehr deutlich gehört. Da sie nicht schwanger war, konnte es auch kein Wunschbild gewesen sein.
Susanne hatte in der Nacht plötzlich gewusst, wer sie da gerufen hatte.
Damals. Als sie gerade mit der Lehre fertig gewesen war und ihre erste richtige Stelle angetreten hatte, war sie mit Uwe befreundet. Nicht nur befreundet. Ziemlich über beide Ohren verliebt sogar. Sie gingen auf alle erreichbaren Feste und tanzten die Nächte durch. Manchmal blieben sie danach in irgendeinem Hotel, weil sie nicht mehr fahren wollten. Schließlich nahm sie die Pille regelmäßig. Da war für sie nichts dabei. Und eigentlich hatte sie ja auch gehofft, Uwe würde sie mal fragen, ob. Eben ganz romantisch. Aber das geschah nicht.
Eines Tages verkrachten sie sich ernstlich und am Folgetag wärmten sie den Streit noch einmal so richtig auf. Später hatte sie nicht mehr gewusst, um was es gegangen war. Aber damals wurde ihr klar, dass sie auf die Dauer nicht zu Uwe und Uwe nicht zu ihr passte. "Ist wohl besser, wenn wir uns nicht wiedersehen!" Sie hatte ihn gar nicht rein gelassen. Sie hatte ihn rausgeschmissen.
Zehn Tage später blieben dann ihre Tage aus. Das konnte bei der Pille auch schon mal vorkommen. Aber als sie nach weiteren vier Wochen bei ihrer Frauenärztin war, wurde die Schwangerschaft festgestellt. Definitiv. Eindeutig. Sie hatte es schon befürchtet, aber beiseitegeschoben. Schließlich war mit Uwe alles aus.
Und nun?
Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen. Das ging damals ja auch niemanden etwas an. Es war einfach grauenvoll. Sie überlegte auch nicht lange. Dazu war auch keine Zeit. Rechnerisch neunte Woche sagte Frau Doktor. "Sie müssen das wissen. Von Ihnen hängt die Entscheidung ab: Für oder gegen. Wenn sie kein Kind wollen, müssen Sie noch zur Beratung." Es hörte sich ganz nüchtern an. Sachlich. Medizinisch korrekt.
Sie ging zu Beratung. Sie hörte sich an, was ihr gesagt wurde. Sie verstand das alles. Auch die verschiedenen Möglichkeiten. Sie antwortete korrekt. Unterschrieb.